Folge 2 - Kompanie

Shownotes

Hintergrund zur Audio-Story: https://der-figaj.medium.com/tadschu-fae353c4ef80

Webseite: www.tadschu.de

UN Archive: https://archives.un.org

Arolsen Archive: https://arolsen-archives.org

Marchivum Mannheim: https://www.marchivum.de/de

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Folge2

Kompanie

M: „Er war ja dann in Frankfurt. Und hat da Wache geschoben. In der Nacht. Vor der Kaserne. Und hat sich einen Zeh erfroren. Sie hatten ja nur so kleine, unbeheizte Hüttchen. Und es war sehr sehr kalt. Und der hat sich einen Zeh erfroren. Was du natürlich nicht sofort merkst. Und irgendwann wurde der Fuß amputiert.“

M: SOUND

P: Frankfurt also. Friedberger Landstraße. Zentral. Der Krieg ist gerade erst vorbei. Wir sind im Jahr 1946. Die Stadt zerstört. Die Straßen sind noch voller Ruinen. Und: Mein Großvater Tadschu – der ist draußen. Als Wachmann im Dienst der US-Amerikaner. -12, -14 Grad. Der Winter 1946/47 wird einer der härtesten im 20. Jahrhundert werden. Aber das hilft nichts. Die Munitions- und Waffenlager müssen bewacht werden. Es ist Weihnachten. Es ist: Heiligabend. Einer, der sein Leben prägen wird.

P: -Trailer –

P: Das ist die Geschichte meines Großvaters. Tadeusz Sirotkin. 1919 in Polen zu Welt gekommen.

P: Den Krieg hat er unversehrt überlebt. Er wurde heimatloser Ausländer. Seine Heimatland Polen, das hat er nie wieder gesehen. Und trotzdem ist er hier geblieben. Hat sich ein neues Leben aufgebaut. In einer Heimat, die heute meine ist. 

P: Wir - nannten ihn Tadschu. 

P: Für mich war das amputierte Bein normal. Opa hatte einfach diese Prothese. Für mich hat er dadurch noch nicht mal eine Behinderung gehabt. Ich habe das ein kleiner Junge überhaupt nicht wahrgenommen. Nicht mal, wenn er keine Lust hatte sie anzuziehen und lustig von Tür zu Tür gehüpft ist. Mit mir hat er sich dann immer einen Spaß draus gemacht. Mit anderen nicht. Die Geschichte dahinter, die kenne ich erst jetzt. Hinten in einem Fotoalbum, hinter drei unbeklebten Seiten – da haben unter anderem zwei Zettel geklemmt. DIN A6. Winzig. Einer aus Buffalo, N.Y., einer aus Chicago. Beglaubigungen. Auf polnisch. Liniertes Papier, grüner Filzschrift – und wieder Schreibmaschinengetippt

P: Hiermit bezeuge ich, dabei gewesen zu sein. Wir haben in einem Raum gelebt. Sein Zeh war an diesem Dezemberabend, am 24. – erfroren. Ich habe alles mit eigenen Augen gesehen.

P: Boleslaw, Chicago / Josef, Buffalo

M: „Und dann kam die Zehenambutation. Und irgendwann wurde der Fuß ambutiert. Und meine Eltern haben dann 1950 geheiratet. Und 14 Tage später wurde das Bein ambutiert. Der Unterschenkel ambutiert. Weil das wohl immer weiter ging mit dem Absterben des Beins.“

P: (Rückblick kurz) Ich weiß mittlerweile, dass mein Großvater einen Ausweis hatte. Einen für sogenannte „displaced persons“. Er war einer von Millionen, die durch den Krieg versprengt über ganz Europa verteilt worden sind. Und zwar Irgendwohin. Und deshalb wissen wir heute nicht mehr so einfach, woher kamen diese Menschen eigentlich? Das waren Menschen, die irgendwie an für sie fremde Orte gespült worden sind, wo sie weitermachen konnten. Weitermachen mussten. Irgendwie. Die sogenannten DPs verschwanden. Der Deutsche Staat machte aus ihnen und ihren Familien in den 50ern „Heimatlose Ausländer“. Aus denen, die geblieben sind. Und das waren die wenigsten. Menschen, mit unterschiedlichsten Biografien. Die sich erst durchkämpfen. Und dann anpassen mussten.

M: „Und meine Mutter war Krankenschwester in einer Frankfurter Klinik. In einer Abteilung von einem Privatarzt. Und mein Vater ist nur in dieser Klinik untergekommen, weil sie dort gearbeitet hat und dann ne Zeit lang unentgeltlich gearbeitet hat. Also mehrere Überstunden geleistet hat, die dann nicht bezahlt wurden. Damit sie ihn dort aufgenommen haben. Das hat er mir erzählt. Und das hat mir meine Mutter erzählt. Und das Bein blieb dann auch viele Jahre offen. Bis er Vater wurde.“

P: Dann heilte es ab. Nach Jahren. Die geprägt worden sind durch diese eine Nacht. Heiligabend also: 1946. Überhaupt waren das wohl Monate voller Unsicherheit. Da gings ums Grundsätzliche. Ich kann das nur in Stationen so langsam nachzeichnen. Aber immerhin. Und um ein Gefühl dafür zu bekommen, hab ich Horst gefragt. Den Vater eines guten Freundes. Fluchtgeschichte. Er kam aus den ehemaligen Ostgebieten. Den Winter 46/47 den hat er in Heidelberg erlebt:

H: „Der Februar 47. Der Februar 47. War der einzige Monat, in der ganzen Zeit von 39 bis Februar 47, in dem es keine Fettmarken gab. Gab keine. Was machen. Man geht in den Wald. Da stehen Bucheckern. Und quetscht das Öl aus. Das weiß man halt. Wenn da hinterher ne Flasche Öl rausspringt, da fragt man nicht nach Schweinearbeit.“

P: So ein Winter war das. Für meinen Opa im Labor Service. Er war ein sogenannter Civilian Guard. Was einem heute erst mal überhaupt gar nichts sagt. Das ist das nächste Thema, was irgendwie verschollen gegangen ist. Civilan Guards waren Wachmänner der US-Amerikaner. Er hat in Zelten und Baracken geschlafen. Und hat mit anderen Entwurzelten vor ehemaligen Wehrmachtkasernen patrouilliert. Ich habe ein Foto: Da sitzt mein Opa ziemlich müde und erschöpft in einem winzigen Zelt. Vor ihm – halb liegend – zwei Männer. Die beiden tragen Arbeitermützen. Es ist dunkel. Er trägt einen Helm. Da drauf aufgedruckt : zwei weiße Buchstaben. „CG“. Civilian Guard. Das klingt so banal. Aber ich hab ewig gebraucht, das zu verstehen. Ziemlich wenig ist so schlecht dokumentiert, wie der Labor Service kurz nach dem Krieg.

P: Gedicht //

Wenn deine Hoffnungen durch Enttäuschung zerstört werden, Wege sich trennen,Denke immer daran: Auf allen Lebenswegengibt es Licht und Schatten.

P: Trotz bitterkalter, dunkler Nächte in ner fremden Umgebung: Das muss 1946 die helle Seite gewesen sein. Nur wie kam er da hin? Ne Antwort könnte in Dokumenten über diesen Labor Service zu finden sein. Denn ich weiß aus seinen eigenen Dokumenten, dass er da nicht nur in Frankfurt war – sondern auch an anderen Orten. Zuletzt eben in Mannheim. Und deshalb führt mich der Weg ins Marchivum. So heißt das Mannheimer Stadtarchiv. Es ist in einem sanierten Weltkriegs-Hochbunker untergebracht...Wirkt ein bisschen so wie ein großes, modernes, weißes Gebäude.

P: Atmo Eingang Marchivum – 6.Etage

P: Die online-Suche nach polnischen Labor Service Einheiten in Deutschland, die ist übrigens ziemlich unbefriedigend. Aber immerhin – in einem Artikel finde ich dann doch wieder eine Verknüpfung:

P: Der SPIEGEL, Januar 1984

D: „Die ersten ‚Labor Service‘-Einheiten, von Amerikanern wie Briten bereits während des Zweiten Weltkriegs aufgebaut, bestanden vornehmlich aus ‚displaced persons‘ – DPs, wie die durchs Nazi-Regime verschleppten und Versprengten im Militärjargon hießen.“

P: Diese Labor Service-Einheiten sind vor allem deshalb entstanden weil die Alliierten ziemlich viele Einrichtungen, Gebäude und Lager eingenommen hatten. Und die mussten irgendwie in Schuss gehalten werden. Und sie mussten nicht zu Letzt eben bewacht werden. Eigene Soldaten dafür abzustellen, das wäre einfach zu teuer geworden. Zu viel Aufwand. Und deshalb hat man in diesen ersten Jahren ganz oft auf Osteuropäer gesetzt. Die waren da. Auch in Mannheim

P: Atmo Marchivum – „Hallo! Bin ich hier richtig?“

P: Im Marchivum treffe ich Bonka von Bredow – es hat ein paar Mails gedauert. Dazu Lockdowns. Die Recherche war lang. Aber jetzt sitzen wir uns gegenüber. Mit Abstand – und nem tollen Blick über ein in Nebel gehülltes Mannheim:

B: „Also ich muss ganz ehrlich gestehen: Als ich ihre Anfrage gelesen habe, da war mir die Dimension des Ganzen gar nicht richtig klar. Natürlich weiß man, das nach dem 2. Weltkrieg hier viele Menschen geblieben sind. Heimatlos wurden. Das sie auch teilweise in Kasernen und Arbeitslager gesteckt worden sind. Aber ich hatte tatsächlich sehr wenig Ahnung. Und für mich war der Labor Service ein absolut neuer Begriff...“

P: Kenn ich gut

B: „Umso spannender fand ich das dann aber auch. Mich damit zu befassen...tatsächlich hab ich das meiste, was ich finden konnte, aus der Literatur entnehmen können. Es liegen einfach zu wenig Listen, zu wenig Akten, zu wenig Dokumente vor.“

P: Was erst einmal ernüchternd klingt. Aber Moment.

B: „Aber – wir haben eben das Glück – das es hier in Mannheim diese Zeitschrift gibt O? (Latest News), die hier in Mannheim herausgegeben worden ist. Und zwar vom Labor Service für die polnischen Arbeiter. Wissen sie was das bedeutet? Neueste Nachrichten! Was ich eben spannend finde ist, dass diese Zeitschrift sehr oft erschienen ist. Und zwar polnischsprachig. Das heißt: Sie war gezielt für die Arbeiter geschrieben worden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das für Sie die wichtigste Quelle sein wird...“

P: Das ist eine dünne Zeitung. Aufgemacht wie ne Tageszeitung. Ziemlich kleine Schrift: Aber. Das spannende ist, sie ist im Mannheimer Stadtteil Käfertal verlegt worden. Direkt. Jede Woche gings um das, was die Menschen im Labor Service bewegt. Seit 1946. Alltag. Weltpolitik. Gottesdienste. Banales. Nachrichten aus der Heimat. Ne bunte Mischung.

B: „Und sie können natürlich gezielt nach den Jahren suchen, die sie da interessieren.“

P: Das sagt sich so einfach. Alleine ein Jahrgang dieser Zeitung füllt mehr als nen Computer-Bildschirm an einzelnen Dokumentenordern aus. Ich hab allerdings ne Identifikationskarte der US-Armee. Mit Tadschus Einheit. Die LS 4087. 1956 abgestempelt. Ein Versuch isses wert.

B/P: „Diese Hier...ähm...Sirotkin...tatsächlich. Herzlichen Glückwunsch! Wer ist es denn? Ist es der links? Der links! Genau! Das ist das 10-Jährige Jubiläum dieser Kompanie. Und es gibt dann auch ein Gruppenfoto dieser Kompanie. Das kenn ich nicht. Das ist die 4087. Und die 4087 wiederum steht auf seiner Karte. Großartig. Das ist ne Sonderausgabe – es soll ein bisschen den Alltag schildern. Man sieht. Feldlager im Käfertaler Wald. Ich muss gestehen – ich arbeite erst seit kurzem am Migrationsprojekt. Und ich stelle mit Erschrecken fest, wie wenig festgehalten worden ist. Und das wir diese Zeitung hier bei uns haben. Das ist ein absoluter Gewinn.“

P: Also ich muss das hier zugeben: Das ist ein absoluter Glückstreffer. Hätt ich nicht in den Januar 1956 geklickt – vielleicht hätte ich diese Sonderausgabe gar nicht entdeckt. Verschlagwortet ist die nämlich noch nicht. Man sucht – ein bisschen – auf gut Glück. In einer Quelle, die nur ganz wenig genutzt worden ist. Aber sie ist da:

B: Und zwar nur, weil man erkannt hat, wie wenig man über das Migrationsgeschehen. Oder das ganze Migrationsgeschehen weiss. Und man hat das mehr oder weniger immer ausgeschlossen oder ausgegrenzt. Und das ist gerade in Mannheim als Migrationsstadt. Man hat da die Hälfte der Bevölkerung nicht abgebildet. Aber ich bin selber begeistert. Und ich schau mir das gerade an wie viele Bilder es aus dieser Zeit gibt. Und das ihr Großvater da drauf ist, ist einfach...

P: Ein Glücksfund. Den ich jemand zeigen muss:

M: „Tsss....Wahnsinn.“

P: Das sind immer diese ganz besonderen Momente. Für die ich suche. Ein Foto – mein Opa im Käfertaler Wald. Mit seiner Wachkompanie. Den ich auch noch abgleichen kann. Denn ich hab das Bild aus dieser Zeitung tatsächlich im Original. Nur hatte ich keine Ahnung, in welchem Zusammenhang es steht. Die Bildunterschrift und der Begleittext dieser Sonderbeilage verrät es mir. Opa war der Älteste Wachmann in der Kompanie. Und gerade im Biwak. Er sitzt glücklich lächelnd an einem Tisch mit ausklappbaren Beinen. Neben ihm ein junger Civilian Guard. Das sieht nach ner guten Zeit aus. Endlich mal.

So wie das zu Hause war – als meine Mutter Sylvana selbst noch klein war:

M: „Er war sehr gesellig, hatte nen großen Freundeskreis. Allerdings waren da meistens die Frauen Deutsche. Und die Männer aus Lettland, Litauen. Er hatte auch Freunde von seinem Arbeitsplatz. Die waren auch Polen. Keine heimatlosen Ausländer. Allerdings in seiner Altersgruppe. Und zwar auch intensive Freundschaften, die ihm auch alle sehr gemocht haben, weil er ein witziger Mann war, weil er sehr lustig war, und was ihn extrem ausgezeichnet hat, er war absolut in sich zufrieden…“

P: So sieht das auch aus auf diesem Foto.

P/M: (ich zeige es ihr) ...

P: Bleibt aber immer noch die Frage. Warum diese eiskalte Nacht in Frankfurt? 10 Jahre vorher? Denn dass er mit diesen Freuden zu Hause in seiner Wohnung sitzen konnte, das war alles andere als selbstverständlich. Der Artikel der Sonderbeilage der polnischen Zeitung verrät es mir:

P: „Am 26. Januar 1946 wurde auf Befehl des Kommandanten des Trainingslagers in Käfertal, Major Filipowski, eine neue Wachkompanie gegründet. Sie bestand hauptsächlich aus Freiwilligen. Aus den Zivilllagern in Kassel.“

P: Kassel....Kassel. Das ist ne Stadt, die oft erwähnt worden ist..

P: „Sagt dir der Name Hasenhecke etwas?

M: Nein. Überhaupt nicht.

P: Null?

M: Null.

P: Und das ist der Eingang Hasenhecke. Da war er. Da hat er auch mal gewohnt ein paar Wochen. Und hier in den Unterlagen – Kassel-Hasenhecke. Das ist aber 1945 gewesen. Aber von solchen Orten hat er nicht erzählt.

M: Nie! Nie!“

P: Gefunden hab ich diesen Ort in einem Dokument, das monatelang auf dem Schreibtisch vor mir gelegen hat. Ich hab’s überlesen. Mehrfach. Und ganz im Ernst; So was passiert ständig. Viele Dokumente aus dieser Zeit sehen sich wahnsinnig ähnlich. Überall sind Vermerke. Schreibmaschinengetippt, mit roten Stift ergänzt. Mit schwarzer Tinte angepasst. Blaue Stempel.

Man denkt auch mal: Das Dokument hab ich doppelt. Stimmt aber gar nicht. Weil ne Kleinigkeit anders ist.

Ich hab also diese Akte mit dem Aufdruck: CM1 – Das sind Fragebögen der Alliierten. Care an Maintenance. Übersetzt Fürsorge und Unterhalt. In Tadschus Fall ne grünliche Akte, dickes Papier. Drauf gestoßen bin ich online. In den Arolsen Archiven. Früher: Der International Tracing Service. ITS. Der internationale Suchdienst. Am 15. September 1945 Opa also dort an. In diesem Lager. Tadeusz hat den Krieg überlebt. Als 26 Jähriger sitzt er in einem DP Camp der UNNRA. Der Nothilfe und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen. Gegründet von den USA, der damaligen Sowjetunion, Großbritannien und China. Die UNRRA sollte Millionen Menschen wieder nach Hause bringen.

Ich hab also diese Akte mit dem Aufdruck: UNRRA Material Roosevelt. Und Director. Und Reporter

„November 1943 – The Washington Delegates....sign an Agreement. Establishing the UNRRA. More briefly: UNRRA.... To Plan their postware life...internationally.“

P: So beschrieb der Reporter in dem Stück damals die Gründung der UNRRA. Ziemlich pathetisch. War so. Der damalige US-Präsident Roosevelt hat es klarer gefasst.

P: Roosevelt Zitat

P: In Atlantic City hat der General-Direktor der UNRRA (Herbert Lamon?) 1943 dann die Situation von Millionen von Menschen, um die man sich jetzt kümmern müsse auf den Punkt gebracht. Denn Millionen waren:

L: „Unrooted from their homes. And seperated from their families.“

P: Heimatlos.

Im zerstörten Europa ist aber zunächst mal eins wichtig: Die Grundversorgung.

L: „... disease“

P: Bis Ende 1946 haben in ganz Deutschland Teams für die UNRRA Daten von entwurzelten Menschen gesammelt. Trotz dieser unübersichtlichen Zeit. Genau das hilft mir heute immer noch weiter. Da war doch dieser Tipp – des Wissenschaftlers. Wolfgang Jacobmeyer. Die Archive der Vereinten Nationen. (Eingeblendeter Satz) 2020 liegen diese Daten auf nem Server der UNO. Verpackt in tausende sortierte und unsortierte .pdf-Dokumente. Ganz oft sind das braune Kladden. Und in einer - find ich meinen Opa.

P: SOUND

P: Gedicht //

P: Also, mit welcher Erinnerung soll ich dich verlassen? Begegnungen sind wie ein Wimpernschlag

P: Sie sind flüchtig.

P: Wie eine Seite, die man beiläufig umblättert. Also sei einzigartig!

P: In dieser polnischen Zeitung. In diesem Artikel über die Kompanie 4087 wird beschrieben, wie diese Einheit sich bewegt hat. Über Darmstadt, das hessische Münster. Nach Mannheim. Und davor: Frankfurt. Da ist das Muster. Das ich gesucht hab. Das sind die Orte seiner Ausweise. Seiner Dokumente, die ich so lange nicht zuordnen konnte. Das amerikanische Besatzungsbüro in Frankfurt wollte – so steht es da – die besten polnischen Wachmänner. Und die kamen freiwillig. Aus Kassel. Dort im in einem Ortsteil von Wolfsanger, ist Hasenhecke.

P: (Computertippen-ATMO) Ich bin auf der Seite der UN-Archive. Listen. Ordner. Und wieder Listen. Endlose Namen. Cablegram steht ganz oft über den Seiten.

P: Bis ich auf Team 53 stoße. Nach Tagen. Das war für Kassel-Hasenhecke verantwortlich. Ich hab das ehrlich gesagt noch nie gehört vorher. Es gibt aber ein Bild dieses Camps. Online. Schwarze Buchstaben auf nem leicht gebogenen weißen Schild über dem Eingang. DP CAMP Hasenhecke. Darüber ein Davidstern. Diese ganzen Auffanglager sind ganz schnell aufgebaut worden: In ehemaligen, Kasernen, Konzentrationslagern, Unterkünften für Zwangsarbeiter.

P: Wenn man die Bilder sieht – man kann sich da wahnsinnig schwer reinversetzen find ich. Das ist ne Zwischenzeit. Ne Atempause für viele. Der Krieg ist vorbei. Die Zeit steht fast still.

P: HORST ZITAT

P: Jetzt ist es aber nicht so, dass diese Ordner irgendwie sortiert wären. Im Gegenteil. Die sind ehrlich gesagt ziemlich zum Verzweifeln... Teilweise 30,40 Seiten lange Listen, in denen alles mögliche aufgelistet wird: Vom Teller bis zur Nationalität der Menschen in den Lagern. Wieviel Kalorien pro Tag sie zu sich nehmen, ob es geländegängige Autos gibt, die Anzahl der Krankenschwestern in der Umgebung. Meldebefehle. In Hasenhecke leben 1945 jedenfalls etwas mehr als 2.000 Menschen. Aber auch ein gewisser Captain Dambrowski. Ein Verbindungsoffizier, mit dem sich die US-Amerikaner über die Situation im Camp austauschen. In einem Fünfzeiler, Schreibmaschinengetippt steht, was die kommenden Jahre meines Opas prägt:

T: „Captain Dambrowski is a very helpful person, works hard and is cooperative in every way in dealing with the various problems connected with the Polen. He does not impede repatriation but does not try to persuade the Polish DPs to return home.“

P: Das ist interessant. Er hat also nicht versucht die polnischen DPs davon zu überzeugen, zurück zu gehen. Was eigentlich eines der Hauptziele der UNRRA war. Repatriierung hieß das. Erst die Menschen versorgen – um sie dann in ihre Heimatländer zurückzuführen. Das ist tatsächlich mit ganz ganz vielen Menschen passiert. Andere sind aber geblieben – obwohl auch er – Stand 1948, für die Emigration vorgesehen war. In die USA. Was nicht geschah... Noch so eine Wirrung dieser Zeit. In den UNRRA News lässt sich der Alltag schon kurz nach Kriegsende in einer Zeitung ziemlich gut nachvollziehen:

P: „Nach der Broschüre für die Displaced Persons in Europa – steht da...gehört zur Hilfe die Repatriierung. In Zusammenarbeit mit Ärzten und Schwestern sorgt der Welfare-Officer für die Errichtung von Spezialverköstigungen und Zubußen der Bedürftigen. In den Aufgabenbereich des UNRRA-Wohlfahrtsdienstes gehören auch Werkstätten.“

P: Acht Monate lang – das gibt er selbst an – hat er Unterstützung der UNNRA bekommen. Zwischen Kriegsende 1945 bis 1946. Und genau da finde ich ein Foto, dass ich bis jetzt nicht kannte: Tadschu sitzt in einem aufgeräumten Zimmer. Sechs Menschen neben ihm an kleinen Tischen . Sie zeichnen eine Puppe ab. Ein Mann scheint sie dabei anzuleiten. Ich sehe ihn im Profil. Seine Kopfform. Seine Frisur. Seine Haltung. Ort und Zeit passen. Zeichnen & malen. Konzentriert. Mit Ruhe. So wie wir. Genau vierzig Jahre später. In den 80ern. An seinem Schreibtisch. Seit der Befreiung hat er also in diesem Camp gelebt. Ein LIFE-Magazin-Fotograf hat es in einer ikonischen Aufnahme festgehalten. Dunkle Gestalten vor einer Baracke am Eingang des Camps. Eine Gruppe Männer steht locker mit den Händen in den Hosentaschen am Toreingang. Noch haben sie keine Heimat. Nur eine Verschnaufpause in ihrem Leben. Das vorher von Schatten geprägt war.

P: Nur – wie sah seiner aus?

P: E-MAIL

P: Eine Mail aus Bad Arolsen. Der Suchdienst der Arolsen Archive. Es gibt neue alte Dokumente für mich. Ich hatte vor Wochen eine Mail geschrieben. Ein digitales Paket. Darin ein Wort – das bis dahin keiner ausgesprochen hat. Obwohl es eigentlich so deutlich war. Und doch ändert es irgendwie alles. (Ein kurzes Telefonat.)

P/M: „Der ist...im nach Deutschland zwangsverschleppt worden. Da steht es.“

P/M: Das müssen wir erst mal sacken lassen. Und ich muss nach Kassel. Nächstes Mal.

P/M: ATMO

P/M: ABSPANN.

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