Folge 3 - Die Fabrik

Shownotes

Hintergrund zur Audio-Story: https://der-figaj.medium.com/tadschu-fae353c4ef80

Webseite: www.tadschu.de

Arolsen Archive: www.arolsen-archives.org

UN-Archive: https://archives.un.org

Die Spinnfaser-AG: https://www.erinnerungen-im-netz.de/erinnerungen/erin-artikel/die-zellwollproduktion-bei-der-spinnfaser-im-bombenhagel-des-zweiten-weltkrieges/

"Dreamers"-Podcast des Interkulturellen Zentrums Heidelberg - Interview zu Tadschu-Projekt: https://www.heidelberg.de/1651645

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Folge3

Die Fabrik

P: Recherchen führen einen an seltsame Orte. Ne Pause.

P: ATMO Parkplatz

Ich bin seit 2 Stunden unterwegs. Die B252 ist ziemlich verlassen. Ein Parkplatz am Rand des Nationalparks Kellerwald-Edersee ist das. Nordhessen. Vorher war ich hier noch nie. Ich bin auf dem Weg nach Bad Arolsen. Da sind die Arolsen Archive. Schicksale klären und Vermisste suchen steht auf der Homepage. Das war über Jahrzehnte die zentrale Aufgabe. 20.000 Anfragen pro Jahr gehen hier heute noch ein. Zu Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden sind. In den letzten Monaten gabs einen regen E-Mail Austausch. Ich habe neue Dokumente gefunden. Online. Listen. Handgeschriebene Dokumente. Vor allem aber führt mich ein Satz meiner Mutter nach Bad Arolsen, de mir schon lange im Kopf herumschwirrt:

M: „Das er sich in Kassel viel viel verstecken musste. Dass er ganz häufig unter dem Bett lag. Da gab es irgendein Brett. Was sie hochgenommen haben. Und er hat sich darunter versteckt.

P: Der hat sich unter nem Brett versteckt in Kassel?

M: Ja er hat von Kontrollen gesprochen. Dass sie kontrolliert haben. Auch Leute rausgeholt haben durch die Kontrolle. Und mitgenommen haben. (004 / 15:00)

P: Hat er auch mal von Kriegshandlungen erzählt?

P: M Nie! Nie? Nie!

P: Das er etwas gehört hat?

M: Da hat er aber nicht von erzählt?

P: Glaubst du er hat seine eigene Geschichte...

M: Ich denk er hat‘s als sein Schicksal angenommen.“

M: INTRO

+ Längere Beschreibung:

P: Das ist die Geschichte meines Großvaters. Tadeusz Sirotkin.  1919 in Polen zu Welt gekommen.

P: Den Krieg hat er unversehrt überlebt. Er wurde heimatloser Ausländer. Seine Heimatland Polen, das hat er nie wieder gesehen. Und trotzdem ist er hier geblieben. Hat sich ein neues Leben aufgebaut. In einer Heimat, die heute meine ist. 

P: Wir - nannten ihn Tadschu. 

P: SOUND

P: Ich habe ein kleines Poesiealbum. Von Opa. Von dem ich ganz lange nicht wusste, dass es überhaupt eins ist.

P: // Gedicht

P: Leiden kann der, der sich nie beschwert.Der aushält.Und sich nicht über den Schaden anderer erhebt.

P: Ein Büchlein. Der Einband ist aus verwittertem, dunkelbraunen Holz. Es ist winzig. Gerade mal so groß wie mein Handteller. Mit einer Kordel zusammengebunden. Ne Schnitzerei auf dem Einband. Landwirtschaftliches Motiv. Ne Sonne. Reingeritzt. Und das Büchlein ist vielleicht Fingerdick. Dafür aber ist es vollgeschrieben. So gut wie jede Seite. Dieses Büchlein stand Jahre vor meinem Kinder – später Jugendzimmern in einem Bücherregal. Ich bin jeden Tag daran vorbeigelaufen, ohne zu wissen, was drin steht. Und jetzt – mehr als zwei Jahrzehnte später, hab ich‘s mir übersetzen lassen. Viele polnische Reime sind das. Etwas italienisches. Ein niederländischer Vers. Das sind Weggefährten Tadschus gewesen, die ihm da in sein Buch geschrieben haben. Einträge aus den 30ern. Und aus den 40er Jahren. Klitzekleine Handschriften. Geschwungene Sätze. So voller Poesie – und – da sind auch ein paar Noten drin. Zittrige, dann wieder geschwungene Notenlinien. Nur ein paar. Aber diese Noten reichen....

P: ATMO.

P: Es ist die Melodie seiner Reise durch eine ungewisse Zeit. Er wusste in den 30ern, mindestens aber in den 1940ern wahrscheinlich nicht, wo ihn sein Weg hinführen wird. Für mich ist die Vorstellung heute kaum nachvollziehbar. Über Jahre kein richtiges Zuhause zu haben. Nur lose Wegbegleiter. Schicksalsgefährten.

P: // Gedicht

P: Zur Erinnerung!

P: Liebe ist die Kraft, der keiner widerstehen kann.Sie kommt unerwartet.

P: Sie wieder aus dem Herzen zu bekommen, dauert Jahre.Dann folgen Leid und Qual.

P: (Rückblick kurz) Ich bin mittlerweile ein ganzes Stück weiter. Ich weiß dass mein Großvater einen Ausweis für sogenannte „displaced people“ hatte. Er war wie Millionen andere im 2. Weltkrieg entwurzelt worden. Ab den 50ern galt er dann in Deutschland als „Heimatloser Ausländer“. Das ist er geblieben. Im Nachkriegsdeutschland hat er im Labor Service als Civilian Guard gearbeitet. Er war bei den US-Amerikanern Wachmann, Waffenmeister. Später im Schreibbüro. Sein Weg hat ihn über ein Auffanglager der Vereinten Nationen über Kassel, Darmstadt, Frankfurt bis nach Mannheim geführt. Er ist aus Polen verschleppt worden. Und einige seiner Dokumente, die liegen noch immer bei Kassel.

P: Atmo // Ankunftssituation Bad Arolsen.

P: „Grüße Sie! Figaj ist mein Name. Ich habe einen Termin mit dem Herrn Lommel. Ja. Kommen Sie bitte herein.“

P: Angekommen in Bad Arolsen. Die Arolsen Archive. Ein langgestrecktes Gebäude. Viele Fenster. 60er Jahre Baustil. Bad Arolsen ist an diesem Tag windig. Ein einzelner Bus steht vor dem Residenzschloss. Auf der Straße ist so gut wie nichts los.

Atmo-Gespräch: „Tür / Die Adresse komplett / So.. / Fieber messen / Pieps 36,4 bisschen kühl“

P: Fieber messen klar. Gehört in diesem 2020er Spätsommer dazu.

Atmo-Gespräch: „Herr Figaj – wir haben telefoniert...“

P: Das ist Alexander Lommel. Der Leiter der Tracing-Abteilung der Arolsen Archive. Also der Abteilung, die sich mit der Suche nach und durch Dokumente beschäftigt. Und zwar aus der Zeit während des zweiten Weltkriegs.

P/L: „Also hier riecht es schon nach Archiv, wenn man hier reinkommt. Diese Wand hier hier...Karteiprüfern...Nach Namen gesucht. Nach Hinweiskarten gesucht.“

P: So wie hier, wird das alles längst nicht mehr katalogisiert. Herr Lommel und ich stehen vor tausenden Kisten aus Karton. Bis zur Decke, bis zum Ende des Raums. Ein Beispiel, wie archiviert worden ist. An der Wand – Bilder von Menschen, die Dokumente sortieren.

P/L: „Das ist der ITS – das ist ein Bild von ganz am Anfang. Das erste Suchbüro war in London. Kam dann unter die Schirmherrschaft der IRO. Und dann 1955 wurde dann der Internationale Ausschuss gegründet. Und dieses Gremium ist unsere Instanz. Ich würde sagen wir gehen jetzt einmal..Richtung...“

P: Der Akten. Weiter in den Bauch des Archivs. Doahin, wo Unterlagen geprüft, gescannt, gesammelt werden. Noch immer. Jahrzehnte nach Kriegsende liegen hier auf Tischen stapelweise Schicksale aus vergilbtem Papier.

P/L: „Wir sind jetzt schon dabei seit Jahren die Dokumente zu restaurieren und zu dokumentieren. Das man die auch für die Zukunft erhält. Wir sind heute der weltweit größte Sammelpunkt dieser Art. Hier in Bad Arolsen. Aus den Konzentrationslagern. Den Zwangsarbeitern. Und auch aus den DP-Camps. Was Originalunterlagen angeht. Das hier oben ist ein ehemaliges Kaufhaus. Hier scannen wir.“

P: Arbeitsplätze mit großen Lampen. Archivscanner. Die in diesem Spätsommer allerdings kaum genutzt werden. Corona macht auch vor historischer Dokumentararbeit kein Halt.

P/L.: „Wir gehen jetzt runter. Und zwar gucken wir uns im Keller die Ablage für die Aktenkorrespondenz an. Das sind insgesamt 2,3 Millionen Fälle. Und das sind die Unterlagen, die wir momentan scannen. Hier sind jetzt zwar keine Originale. Aber das sind alles einzelne Schicksale. Wahnsinn!“

P: Vor uns öffnet such das ganze Untergeschoss. Regale. Neben Regalen. Endlose Gänge. Ein Labyrinth aus weißem Papier. Nur zum Verständnis noch mal: Herr Lommel und ich stehen in diesem Moment zwischen mehr als zwei Millionen Dokumenten. Nur Korrespondenzanfragen. Also Anfragen von Menschen, Angehörigen, die nach dem Krieg ihre Verwandten gesucht haben. Oder wie ich, bis heute mehr erfahren wollen.

P/L: „Und das da hinten sind die alten Fälle – wir haben immer in einer Reihe 1.000 Fälle. Hier ist die Lücke. Wir sind jetzt bei 1,8 Millionen. Von 2,3 Millionen.“

P: Ich bin in diesem Moment dankbar. Dafür, dass es solche Orte gibt. Die schwer zu organisieren, und zu verwalten sind. Denn sie liegen schon immer eher im Schatten irgendeiner Tagesaktualität, irgendeiner Öffentlichkeit. Abseits der Tagesaktualität. Es ist ruhig. Alles ist geordnet. Und irgendwann kommt derjenige, der vielleicht genau dieses eine Dokument sucht, dass zuvor sauber abgelegt worden ist.

L: „Dieses Bedürfnis zu befriedigen. Das ist für mich oberste Priorität. Zum Zweiten natürlich auch...politischen Verhältnisse. Dass das absolut relevant ist. Das wir sehen müssen, dass wir dagegen was tun.

P: Wir kommen doch alle von irgendwo her?

L: Wechselgefühl für mich.... Dass das nie wieder passieren darf. Rasse Religion...Die Tagesschau. Wichtiger denn je.“

P: Und da ist es wieder. Dieses Gefühl ... So wie vor ein paar Jahren. In Flüchtlingsunterkünften. Auf der einen Seite die kleinen, persönlichen, Interessen. Auf der anderen Seite: Der große Rahmen. Dazwischen Millionen Geschichten. Jede Einzelene anderes. Das war früher so. Das ist heute so. Wir kommen alle von irgendwo her. Und jeden treibt was anderes an. Das liegt in unserer Natur. Es macht uns aus. ---

P: Aber da warten ja noch Dokumente auf mich. In bin in Bad Arolsen, um die Kriegsjahre meines Opas endlich zu verstehen. Er wurde verschleppt. So viel ist klar. Wann, wie, und warum. Das weiss ich nicht. Wir sind in einem langem Flur. Viele Türen. Eine steht offen...

Atmo: Hallo / Das ist ... Vorstellung

P: Und dann ist da Tadschus Pass. Schwarz-Weiß. Ein Foto. Ein sogenannter Zuerkennungs Ausweis, wie ich gleich noch lerne, der Internationalen Flüchtlings Organisation. Den ich noch nie gesehen hab. Control Center Fulda. Riesengroß. Guckt er mich an. Auf einem Flachbildfernseher an der Wand

ATMOP: “ Das ist super skurrill.....fremde Menschen......Und dann den eigenen Großvater auf einem Fernseher, dessen Pass zu sehen...Das kann ich verstehen...Guten Tag erstmal...“

P: Noch mal ganz kurz um das zu verstehen: Solche Begegnungen klingen selbstverständlich. Sind sie aber nicht. Das sind zum Teil absolute Zufallstreffer nach ewigem stochern im Archivnebel, bis man nach endlosen Monaten Menschen trifft, die etwas sagen können. Etwas einordnen können. Über die eigenen Verwandten. Die man fragen kann. Die Bausteine – fehlende Puzzlestücke haben.

P: In meinem Fall sind das Bettina Michalke und Kathleen Wagniewski, die Unterlagen gesucht – und tatsächlich gefunden haben. Nachdem ich geschrieben hatte. Erstmal nur ne banale Mail. Nachdem ich über eine Mitarbeiterin in den Sozialen Medien auf die Arbeit im Archiv aufmerksam geworden war. Die beiden sind Tracerinnen – sie suchen Spuren in Dokumenten.

K: „Es ist kriminalistisch.“

P: Das ist Kathleen Wagnieswski:

K: „Es ist eine Detektivarbeit. Ich bin Sachbearbeiterin bei einer internationalen Firma. Das ist das spannende. Davor waren wir der internationale Suchdienst. Heute sind wir die Arolsen Archives. Aber ich suche nach Dokumenten. Dann gehe ich in die Tiefe. Und kann dann ganz interessante Gespräche führen. Ein Antragsteller hat gesagt: Wir sind ein Denkmal aus Papier. Man sieht sein Schicksal.“

P: Und ich komme Tadschus Schicksalstagen, den Orten näher. Nach Jahren pocht mir doch das Herz jetzt doch im Hals. Eine Mappe, voll Dokumenten, liegt da auf dem Tisch. Ein bisschen was davon hatte ich kurz davor per Mail zugeschickt bekommen. Neben den Dokumenten liegen weiße Handschuhe, wie sie Archivare tragen, um die alten Papiere nicht zu zerstören.

P: „Wäre ohne meine Frage die Dokumente eigentlich jemals wieder angefasst worden?

B: Wir haben immer noch Erstanfragen.

K: Die Meisten wollen eigentlich erst einmal nur, dass eine Suche durchgeführt wird. Und möchten eigentlich nur wissen, was ist mit demjenigen passiert. Wir stellen sehr oft fest, dass gerade die dritte, die vierte Generation jetzt fragt: Was war damals? Weil die erste, zweit schweigt. Reden nicht darüber. Deswegen die Dritte Generation, die uns überwiegend per Mail anschreibt, und nur erst einmal Dokumente möchte, um zu wissen: Was ist das für ein Lebensweg. Und das einer persönlich vorbeikommt, kommt eigentlich nicht so oft vor.“

P: Nur ich sitze hier. Aber das passt natürlich. Es bestätigt ja auch ganz klar meine Erfahrung.

B: „Es ist also auch typisch für die Zeit, dass die Betroffenen gar nicht gesprochen haben. Die haben das alles hinter sich. Den Krieg. Hinter sich gelassen. Haben geheiratet. Kinder bekommen. Alles hinter sich gelassen und wirklich ein ganz neues Leben begonnen. Ohne groß über die Vergangenheit zu reden. Die haben wirklich abgeschlossen. Und deswegen wissen die Enkel auch so wenig über diese Zeit. Und das ist hauptsächlich auch die Enkelgeneration, die anfragt: Was ist denn damals passiert. Wo sind meine Wurzeln. Wo kommen eigentlich meine Großeltern her? Selbst das wissen viele Leute gar nicht heutzutage.“

P: Während wir sprechen, schauen wir immer wieder auf den großen Bildschirm. Die Suche hier unterscheidet sich noch einmal ein Stück von der Suche zu Hause am eigenen Computer. Die beiden Suchen über Hinweiskarten – verknüpfte Dokumente. 17,5 Millionen Hinweiskarten. Und jede führt wiederum zu einem Dokument. Das ist alles mehr als ein riesiges Puzzle. Und es ist auch der Grund, warum eine Recherche sich nicht einfach schnell abschließen lässt. Immer wieder kommt irgendwo doch noch ein neues Dokument dazu. Man stößt auf einen neuen Hinweis.

K: „Nach dem Krieg gab es einen Aufruf, dass Dokumente gebracht werden sollten. Und dann haben Mitarbeiter von uns zu diesen Dokumenten kleine Hinweiskarten erstellt. Oder: Was wir auch gemacht haben. Später. Dass wir bspw. Krankenkassen angeschrieben haben. Dann sind wir hingefahren. Und haben die verfilmt und auf Hinweiskarten festgehalten.“ 

P: Ist ja ganz oft so…. 

B: Wir haben ja im Fall ihres Großvaters eine Mitglieder- und Leistungskarte von der AOK – das ist nachträglich hier bei uns angekommen. Das ist auf Mikrofilm verfilmt worden. Wir haben es rückvergrößert. Das haben wir. Es ist da.“

P: Und da ist noch mehr

B: „Wir haben tatsächlich einen ganz eigenen Bereich – Wir haben einen großen Bereich Inhaftierung und Verfolgung. Eigener Bereich Zwangsarbeiter-Unterlagen. Die sind noch einmal unterteilt in die vier Besatzungszonen. Das ist thematisch aufgeteilt. Dann den Bereich der Nachkriegszeit(....klickt...viel...) das sind alles die Listen von DP-Lagern. Wenn man sich das anschaut. So sieht das dann aus. Das ist ein großer Bereich.“

P: Zur Erinnerung: Er war in Kassel-Hasenhecke. In einem Auffanglager für Displaced Persons. Direkt nach dem Krieg. 1945.

B: Als wir dann die CM1/Akte hatten, da haben wir überlegt - da muss eigentlich noch mehr sein. Von der Kriegszeit. Und so sind wir dann auch auf diesen abweichenden Namen gekommen. CM1 ist der Antrag auf IRO-Unterstützung. Den ihr Großvater damals gestellt hat. Bei der IRO. Der Antrag auf IRO Unterstützung...

P: Also den Antrag bei der Internationalen Flüchtlingsorganisation. Von der ich wiederum Dokumente habe, die mein Großv“ater noch bei sich hatte.

K/B: Nach dem Krieg haben sind ja die verschleppten Personen....haben sich in Lagern aufgehalten. Dort haben sie die Unterlagen und die Ausweise bekommen. Da wurde auch festgestellt, ist er überhaupt berechtigt, diesen Antrag zu stellen...ist das tatsächlich ein Verfolgter. Und dann hat man Fragen gestellt. Und dann hat man darüber entschieden – kann man die IRO-Unterstützung zuerkennen – oder nicht. Und das sind die Anträge.“

P: Und es gab Unterstützung. Die ersten acht Monate. Für Verschleppte. Dieser Begriff, der in der Familie nie benutzt worden ist. Aus der Arolsen Akte ergibt sich ein noch genaueres Bild. Übrigens nur, weil die beiden Tracerinnen auch Namen abgeglichen haben. Und Abweichungen suchen. Tadschu ist als Jerenty und als Terenty von seiner Krankenkasse geführt worden. Namen, nach denen ich nie gesucht hatte. Was häufig vorkommt:

P: K/B „...Suche nach Namen ...“

P: Seine Akte zeichnet all das nach. Das Lager, sein Status. Seine in Worte gefasste Vorgeschichte. Die Puzzlesteine passen.

Bleibt die Frage: Wo war er genau?..

K: Wir hangeln uns auch nur von Dokument zu Dokument. Wir können auch nicht sagen. Mit dem Zug, mit dem Transport...was uns die Dokumente sagen.“

P: Aber. Moment. Ich hatte immer wieder von Kassel gehört. Der Name der Stadt war immer mal wieder gefallen. Ganz unspezifisch.

K: „Darf ich sie bitten Handschuhe anzuziehen? Also dieser Bogen ist original...ausgefüllt von ihrem Großvater....es spricht....Foto....Glücksgriff... selten...sein Lebenslauf hat er selbst ausgefüllt.... sehr genau....Das setzt sich aus mehreren Seiten zusammen. Und da steht.

B: Ist das jetzt die Bestätigung von 47 die er da angibt? Das ist ja toll.“

P: Was ich da murmel, ist der Situation geschuldet. In diesem . Ich sehe tatsächlich zum ersten Mal die Bestätigung. Die ich so nicht hatte. Aber das dauert etwas. Tadschu hat in einer Fabrik in Kassel gearbeitet. Ich hatte das vermutet. Aber erst jetzt deckt sich diese Vermutung. Er war dort. Fünf Jahre lang. Zwischen März 1940 und April 1945. Es ist die Spinnfaser-Aktiengesellschaft. Als Reparaturschlosser stand Tadschu in der Spinnschlosserei.

P/B.: „Wir bestätigen den Eingang ihres...er schreibt ja auf der zweiten Seite...ausgebombt. Dann ist das diese Bescheinigung. Das ist quasi der Gegenbeweis. Er schreibt dass die Fabrik ausgebombt wurde. Hat er das selbst geschrieben? Und in dem Fall steht auch von der Spinnfaserfabrik diese Bescheinigung.

P/B.: ...Ich habs nicht gesehen. Ich habs einfach nicht gesehen.“

P/B.: (ATMO Fliegeralarm ) .....

M: .“..Er hat sich immer unter einer Klappe versteckt. Die hatten da so ein Brett.“

P: Zwei Bilder aus dem Krieg hab ich, nur eins von Tadschu selbst. Er steht auf vor dieser Fabrik. Das ist Kassel-Bettenhausen. Das ist also die Spinnfaser-Fabrik, vor der er da steht. Es ist das Hauptbild – das Foto dieser Audio-Spurensuche. Tadschu in der Mitte, zwei Männer links und rechts von ihm. Im Hintergrund Fabrikschlote. Ein zweites Foto, dass ich habe, zeigt die Fabrik, wahrscheinlich seinen Blick aus dem Fenster. Ein eher unscheinbares Bild auf das Fabrikgelände. Was ich aber jetzt erst in Verbindung bringen kann. Und die Fabrik ist zerstört auf diesem Bild. Auch das hab ich lange gar nicht erkannt. Er war also dort – während des Angriffs. Nämlich 1943. Und er hat es nie erzählt. Nie wieder.

K: „Man darf ja nicht vergessen, deutsche Männer im Krieg. Deshalb kamen ja Zwangsarbeiter.

K Meine Vermutung ist, er wurde abgeworben. Vielleicht hat er auch gesagt: Deutschland: Da sind bessere Bedingungen für mich... 

K Meine Vermutung ist, er wurde abgeworben. Vielleicht hat er auch gesagt: P Es muss nicht rausgerissen sein. 

K Meine Vermutung ist, er wurde abgeworben. Vielleicht hat er auch gesagt: K Es gab auch Befehle. Ihr müsst kommen. Deutschland hat Forderung gestellt. Es gab auch richtiggehende Befehle...sondern unter Zwang.“

P: Dieser Zwang also, der ihn in diese Spinnfaser-Fabrik brachte. Man muss das allerdings unterscheiden: Zwangsarbeit ist nicht gleich Zwangsarbeit. Das konnten sehr verschiedene Dinge sein. Immerhin eins ist klar: Zivile Zwangsarbeiter hatten mehr Freiraum als Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge. Aber es war in Teilen nicht weniger gefährlich. Dennoch: Opa war ziviler Zwangsarbeiter.

Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei – Berlin, 10. September 1943Betrifft: Behandlung der im Reichsgebiet befindlichen Arbeitskräfte polnischen Volkstums.

Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei – Berlin, 10. September 1943Betrifft: „Oberstes Gebot ist, die Arbeitskraft der polnischen Zivilarbeiter im größtmöglichen Umfang für die deutsche Wirtschaft einzuspannen. Trotzdem aber alle Gefahren abzuwenden, die für die Sicherheit und den rassischen Bestand des Deutschen Volks entstehen.“

P: So etwas wird nicht einfacher zu lesen. Egal wie viele Jahre vergehen. Das sind Akten aus dem Bundesarchiv, die sich aber auch in den UN-Archiven in New York finden lassen. Seitenlange Befehle, wie mit polnischen Zwangsarbeitern umgegangen werden soll.

Kennzeichnung: „Polen, die gegen die Kennzeichnungsbestimmungen verstoßen, sind mit fühlbaren Strafen (Zwangsgeld) zu belegen, und, wenn sie mehrfach ohne „P“-Kennzeichen betroffen werden, den Staatspolizeistellen zur weiteren Behandlung zuzuführen.“

P: Und so geht es weiter. Mit Verboten. Polnische Zwangsarbeiter durften ihren Aufenthaltsort nicht ohne besondere Genehmigung verlassen. Sie durften nachts nicht raus. Nicht telefonieren. Keinen näheren Kontakt zu Deutschen haben. Und:

„Aus volkstumspolitischen Gründen: Nicht fotografieren.“

P: Darum gibt es wohl auch nur dieses eine Bild.

P: „Um eine Berührung mit der deutschen Bevölkerung weitesgehend auszuschließen, sind die polnischen Zwangsarbeiter grundsätzlich scharf getrennt von deutschen Volksgenossen unterzubringen. In geschlossenen Sammelunterkünften. Von polnischen Zwangsarbeitern begangene Arbeitsvertragsbrüche werden durch Einweisung in ein Arbeitserziehungs- bzw. Konzentrationsalger geahndet.

P: Gezeichnet. Dr. Kaltenbrunner.“

P: Ernst Kaltenbrunner. Ein hochrangiger SS-Funktionär. Chef der Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes und der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes. Diese perfiden, menschenverachtenden Erlasse kamen von ganz oben. Und sie haben auch Menschen aus Polen gebrandmarkt. Vorverurteilt. Das violette P auf gelbem Grund in einem auf der Spitze stehenden Quadrat. Ein sieben mal sieben Zentimeter großes Stigmata. Um anderen zu zeigen: Du stehst unter uns. Das war die abscheuliche Mechanik der Nazis. So funktionierte auch der berüchtigte Judenstern. Und das violette P – war von Anfang an in den sogenannten Polen-Erlassen geregelt worden. Sogar bereits vor dem Judenstern, der erst später kam. Die sogenannten Polen-Erlasse .- sie sind bis heute sehr wenig beachtet worden. Was auch daran liegt, dass Zwangsarbeit über Jahrzehnte nicht als direktes NS-Verbrechen anerkannt worden ist. Diese Erlasse galten ab März 1940. Mit Plan. Als Tadschu nach Deutschland kam. So wie drei Millionen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs aus Polen nach Deutschland verschleppt worden sind.

P: 1940 also. Noch war Opa 21 Jahre alt. In der Lilienthalstraße in Kassel, das lese ich über diese Fabrik, gab es ein Lager für Ost- und für Westarbeiter. Dieses Lager war ganz in der Nähe der Spifa – so war die Abkürzung. Das kommt hin. Die Perspektive passst. Das Lager war bewacht. Mit Stacheldrahtzaun umgeben. Und es wurde 1943 bei einem Luftangriff zerstört.

P: ATMO – Sirene

P: Das ist die Originalsirene aus Kassel. Fliegeralarm. Tadschu muss ihn mehrfach gehört haben. Am schwersten ist Kassel 1943 getroffen worden. Der Industriell geprägte Osten der Stadt, mit vielen Kriegsproduktionen – und dem Standort der Spinnfaser-Fabrik, ist dann 1944 fast komplett zerstört worden. Die Fabrikproduktion ist monatelang ausgefallen. Denn die Angriffe gingen eben über Monate. Bis zum 21. März 1945. Als dann die letzten Bomben über Kassel-Bettenhausen abgeworfen worden sind. Man kann das nachlesen. Und: Es gibt Zeitzeugen-Berichte. Immer wieder ganz wichtige Texte, wenn es sie denn gibt. Denn sie beschrieben genau, wie die kriegswichtige Produktion, zum Beispiel bei Fieseler oder Junkers gezielt bombardiert worden ist. Das war die Flugzeugproduktion. Aber auch die Spinnfaser-AG. In der übrigens Zellwolle produziert worden ist. Das war die größte Einrichtung dieser Art in Europa in dieser Zeit. Weit über 1.000 Menschen haben hier gearbeitet. Am ersten April 1945 sind dann US- Truppen nach Kassel einmarschiert. Tausende Bomben waren gefallen. Und nichts davon hat Tadschu jemals wieder erzählt.

D: „Mit seiner Leistung und Führung waren wir stets zufrieden.“

D: Spinnfaser-Aktiengesellschaft. Lohn- und Sozialabteilung.

P: Auf der Rückfahrt von Bad Arolsen komm ich um einen Abstecher nicht herum. Lilienthalstraße. Spinnfaser AG. Heute ist das ein Mischgebiet. Industrie. Gewerbe. Einen einzige Schlot erkenne ich noch als ich in die Straße fahre. Eine sehr lange Straße. VW nimmt heute einen großen Teil davon ein. Es ist ein seltsames Gefühl. Die Sonne steht schon ziemlich tief. Aber ab jetzt ist Tadschus Geschichte – zumindest in Deutschland, für mich keine Unbekannte mehr. Ich kann seinen Weg nachzeichnen. Mich jetzt tatsächlich dort hinstellen, vor er vor 80 Jahren stand. Ohne dass wir jemals darüber gesprochen hätten.

P: ATMO Eindruck vor Ort in Kassel-Bettenhausen

P: Tadschu – das schwirrt mir in diesen Stunden noch durch den Kopf, hätte übrigens 1945 einfach gehen können.

B: „Er hätte gekonnt. Nach dem Antrag ist ihm das Zuerkannt worden. Das er für die Auswanderung vorgesehen ist. Also er hätte es machen können. Und nach Polen zurück zu gehen. Auch nach Russland. Auch da wurden sie wieder verfolgt. Weil sie den Deutschen angeblich verfolgt haben. Sie gingen aus Selbstschutz nicht zurück...“

P: Er blieb. Aber er ging eben auch nicht mehr nach Polen zurück. Hier ist die Grenze. Wie eine Barriere in ein anderes Leben. Eines davor:

P: Drei Leben. Polen. Krieg. Familie.

P: Zwei kenne ich. Fehlt das Dritte. Das mit dem Zweiten verknüpft sein muss. Es gibt einen Anhaltspunkt. Eine Stadt. Und zwei Sportausweise.

M: „Tomascow hat er erwähnt“.

M: Nächstes Mal.

M: Abspann.

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